Acheiropoieta, Alltageslicht und göttliche Kunstfreiheit

Der moderne Begriff der Kunstfreiheit gewinnt allererst vor dem Hintergrund vormoderner Kultbilder Kontur. Unter Letzteren ragt vor allem das Genre der Acheiropoieta hervor, die für das weitreichendste Verständnis von Kunstautonomie einstehen: das einer göttlichen Heautonomie im Sinne einer uneingeschränkten Selbstbestimmung. Dieses Verständnis, übertragen von der Allmacht Gottes auf eine genialische Künstlerschaft, besitzt zugleich Vorbildcharakter für die moderne Kunst, die heute wiederum aus denselben Gründen in der Kritik steht. Ein genauerer Einblick in die historisch-systematischen Zusammenhänge zeigt jedoch, dass diese Kritik, der paradoxe Versuch einer willentlichen Befreiung von der modernen Kunstfreiheit, unwillentlich das vormoderne Erbe in gewandelter Form wieder einbringt: Die Diskussion um die Autorschaft von KI-Kunst reproduziert die Diskussionen um den strittigen Status der Acheiropoieta zwischen gottgegeben und menschengemacht. Dagegen gilt es einzusehen, dass ein striktes Entweder-Oder einem Missverständnis von Kunstfreiheit aufsitzt: Anstatt eine selbstmächtige Heautonomie allein der einen oder der anderen Partei zu bedeuten, steht der Autonomiebegriff seit jeher im Grunde für ein ebenso aktives wie passives Sich-bestimmen-lassen voneinander.

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