Heine und Michel

Volksberauschung und die Folgen – damals wie heute. Da hilft nur Ausnüchterung. Also einmal die Schlafmütze abgesetzt, die Äuglein gerieben und die Ohren gespitzt:

„Wir hätten auch den Napoleon ganz ruhig ertragen. Doch unsere Fürsten, während sie hofften durch Gott von ihm befreit zu werden, gaben sie auch zugleich dem Gedanken Raum, daß die zusammengefaßten Kräfte ihrer Völker dabei sehr mitwirksam sein möchten: man suchte in dieser Absicht den Gemeinsinn unter den Deutschen zu wecken und sogar die allerhöchsten Personen sprachen nun von deutscher Volkstümlichkeit, vom gemeinsamen deutschen Vaterland, von der Vereinigung der christlich germanischen Stämme, von der Einheit Deutschlands. Man befahl uns den Patriotismus und wir wurden Patrioten; denn wir tun alles was unsere Fürsten befehlen. […] Der Patriotismus des Franzosen besteht darin daß sein Herz erwärmt wird, durch diese Wärme sich ausdehnt, sich erweitert, daß es nicht mehr bloß die nächsten Angehörigen, sondern ganz Frankreich, das ganze Land der Zivilisation, mit seiner Liebe umfaßt; der Patriotismus des Deutschen dagegen besteht darin daß sein Herz enger wird, daß es sich zusammzieht wie Leder in der Kälte, daß er das Fremdländische haßt, daß er nicht mehr Weltbürger, nicht mehr Europäer, sondern nur ein enger Deutscher sein will. Da sahen wir nun das idealische Flegeltum, daß Herr Jahn in System brachte; es begann die schäbige, plumpe, ungewaschene Opposition gegen eine Gesinnung die eben das Herrlichste und Heiligste ist, was Deutschalnd hervorgebracht hat, nämlich gegen jene Humanität, gegen jene allgemeine Menschen-Verbrüderung, gegen jenen Kosmopolitismus, dem unsere großen Geister, Lessing, Herder, Schiller, Goethe, Jean Paul, dem alle Gebildeten in Deutschland immer gehuldigt haben.“ (Heinrich Heine, Die romantische Schule)

Jede Form von Deutschtümelei ist seit ihren historschen Anfängen nur das Ressentiment eines kleinherzigen Kosmopolitismus. Das geheime Deutschland ist Europa. Dabei zeugt es von geradezu naiver Authoritätsgläubigkeit, im Hurrah-Patriotismus der anti-napoleonischen oder einer anderen Anti-Reaktion eine Sternstunde der Freiheit oder nationalen Befreiung erblicken zu wollen. Deutscher Patriotismus war vielmehr eine Erfindung des Patriachats gegen Freiheit und Befreiung von dieser Bevormundung durch dasselbe Patriachat von Fürsten, Kirchenmännern und anderen Profiteuren. Heute dagegen kann man nur noch von einer Parodie der Selbstbestimmung oder muss gar von einem (re)sentimentalen Flegeltum sprechen, wenn sich nach zwei Weltkriegen immer noch die Brust schwellt.

Also, mein armer Michel, noch einmal deutlich für das etwas schwere Köpfchen:

– Deutsch sein heißt Europäer werden! –